Extreme Team Building am höchsten Berg Österreichs
14.06.2021 — Majestätisch, dominant und einschüchternd ragt der Großglockner 3798 Meter Seehöhe vor uns in die Höhe. Gefesselt von der Vorstellung, dass wir morgen um diese Zeit von der Spitze runter blicken werden, stehen wir voller Ehrfurcht am Parkplatz beim Lucknerhaus. Die Kulisse könnte kaum schöner sein: saftiges Grün im Tal und schneebedeckte Steilhänge im Hintergrund. Die Sonne strahlt und schafft eine magisches Ambiente, so stellt man sich eine Märchenkulisse vor. Bevor unser Abenteuer losgeht atmen wir nochmal ganz tief ein und realisieren dabei, dass wir in diesem Moment unsere erste Hochtour starten werden und das gleich auf den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner.
Wie kommt man eigentlich zu einer Hochtour auf den Großglockner?
Reiner Zufall. Meine Freundin hatte Glück und eben mal so eine geführten Gipfelbesteigung des Großglockners über den Normalweg mit Bergführer Stefan Brunner von Climbing Solutions gewonnen. Drei Plätze galt es noch zu füllen und so kamen ich und noch zwei weitere bergbegeisterte Freundinnen hinzu. “Team Mädels”, wie uns unser Bergführer liebevoll nannte, war somit geboren. Es war jetzt nicht unbedingt mein Plan, den Großglockner in naheliegender Zukunft zu besteigen, aber diese Tour wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen. Gemäß meiner locker, lässigen Art — manche würden es wahrscheinlich pure Naivität nennen — wusste ich vor der Tour nicht so recht, worauf ich mich einlasse. Ganz nach dem Motto: “Fürchten kann ich mich auch noch später.” Gesagt, getan.
Die Ausrüstung
Grundsätzlich gilt bei der Ausrüstung für die Hochtour “so viel wie nötig, so wenig wie möglich”. Am wichtigstens sind wohl die (halb-)steigeisenfeste Bergschuhe, wofür man etwas tiefer in die Tasche greifen muss (oder man hat Glück -so wie ich — und wird auf Willhaben fündig). Wie jeder andere Schuh, sollten dessen Passform auf einfacheren Touren vorab getestet werden, um Blasen oder oder Druckstellen frühzeitig zu identifizieren. Ich spreche hier aus schmerzhafter Erfahrung. Man will keinesfalls mit solchen Problemen während der Großglockner Besteigung kämpfen. Glücklicherweise konnte weitere Ausrüstung wie Steigeisen, Pickel, Helm, Klettergurt und HMS-Karabiner kostenlos beim Bergführer ausgeliehen werden. Andernfalls hätte ich noch ein bisschen tiefer in die Tasche greifen müssen. Dankenswerterweise hat unser Bergführer zudem eine Packliste zusammengestellt, die enorm dabei geholfen hat das Gefühl “Oh mein Gott, ich hab bestimmt was vergessen” frühzeitig in den Griff zu bekommen.
Die Vorbereitung
Um uns auf die Tour vorzubereiten, planten wir mehrere anspruchsvollere Wanderungen (ca. 1300 hm im Auf- und Abstieg). Aufgrund der langanhaltenden Schneesituation waren es jedoch leider nicht annähernd so viele Wanderungen, wie ich mir gewünscht hätte. Gegen das Wetter kann man wohl nichts machen. Regelmäßiges Kraft- und Ausdauertraining schufen Abhilfe und ich hatte das Gefühl körperlich gut vorbereitet zu sein.
Welche spezifischen Kenntnissen braucht man für eine Hochtour?
Das ist eine Frage, die ich mir vorab gestellt habe und ich kann definitiv sagen, dass Seil- und Sicherungskenntnisse von Vorteil, aber nicht unbedingt notwendig sind. Diese Kenntnisse bringt glücklicherweise der Bergführer mit. Man sollte allerdings schwindelfrei und trittsicher sein. Diese Fähigkeiten kann einem der Bergführer nämlich nicht abnehmen. Ansonsten sollte man sich bewusst sein, dass eine Hochtour kein Spaziergang ist und dass man den nötigen Respekt vor den Bergen auch mitbringen sollte. Ausgerüstet mit einem halbwegs vertretbaren Fitnesslevel, einem ausgeprägten Selbstbewusstsein und einem minimalistisch gepackten 30l Rucksack, war ich nun bereit für die Tour.
Auf zur Stüdlhütte
Ausgehend vom Parkplatz Lucknerhaus (1.920 m) machen wir uns also auf den Weg zur Stüdlhütte (2.801 m). Je nach Tagesverfassung und Schneelage, sollte man ca. 2–3 Stunden für den Aufstieg einplanen. Amüsanterweise, eilt uns unser Ruf voraus und wird werden von mehreren Absteigenden gefragt, ob wir denn Stefan’s Mädelsgruppe seien. Es dürfte also nach wie vor eine Sensation sein, wenn vier Frauen alleine den Großglockner besteigen. Mit einem Schmunzeln und der Hoffnung, dass uns das ein oder andere Murmeltier über den Weg laufen würde, marschieren wir weiter. Diese lassen nicht lange auf sich warten und man hört sie bereits von Weiten pfeifen. Wenn man etwas Geduld mit sich bringt, gelingt einem auch ein Schnappschuss. Am späten Nachmittag erreichen wir unser erstes Etappenziel, die Stüdlhütte. Wir haben Glück. Die Sonnenterrasse wurde erst einen Tag zuvor vom Schnee befreit und wir können unsere Ankunft umgeben von schneebedeckten Bergen und bei einem kühlen Getränk genießen. Wir treffen auf Stefan und bekommen eine erste Einführung in die Hochtourenkunde. Stefan nimmt sich ausreichend Zeit, um unsere Fragen zu beantworten und zeigt uns, wie wir am nächsten Tag die Steigeisen anlegen werden.
Das Schlaflager
Nachdem wir eingecheckt haben inspizieren wir unsere Unterkunft für die nächsten zwei Nächte. Das Schlaflager auf der Stüdlhütte habe ich mir ungefähr so vorgestellt: mehrere aneinander gereihte Stockbetten, ein kleines Fach, in dem jeder seine Habseligkeiten aufbewahren kann und ein nach Geschlechtern getrennter Waschraum. Obwohl man sich hier auf das Nötigste beschränkt, fehlt es uns an Nichts. Wer duschen möchte, kann das gegen einen Aufpreis von 4 € machen.
Kulinarische Highlights
Die Qualität und Kreativität des Abendessen, ein 3-Gänge Menü, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Man hat die Qual der Wahl. Zweierlei Suppen, zwei Hauptspeisen, eine davon vegetarisch, ein wunderbares Salatbuffet und mehrere Nachspeisen stehen zur Auswahl. Dem Essen nach könnte man in einem Resort gelandet sein. Der Trend zum Superfood dürfte auch auf 2.801 m über dem Meeresspiegel angekommen sein und Quinoa und Co. beeindrucken uns neben der traditionellen Küche, vom ersten Bissen an. Was ich hier allerdings hervorheben möchte ist, dass man nicht davon ausgehen kann, dass es auf jeder Hütte selbstverständlicherweise vegane, laktose- oder glutenfreie Alternativen gibt. Transport und Lagerungsmöglichkeiten sind komplexe logistische Herausforderungen und man sollte seine Erwartungen dementsprechend anpassen und verständnisvoll sein, wenn die Auswahl limitiert ist.
Die Hochtour kann beginnen
Die Nacht vor dem Aufstieg ist durchwachsen. Zu keiner Zeit ist wirklich Ruhe im Schlaflager und für geräuschempfindliche Menschen sind Ohrstöpsel die einzige Lösung zu diesem Problem. Trotz des Schlafmangels bin ich guter Dinge, als der Wecker um 4.30 läutet. Wir sind bereits die letzten die das Schlaflager verlassen. Eine reichhaltige Auswahl am Frühstücksbuffet gibt uns die nötige Kraft für die bevorstehende Tour. Nachdem wir erfolgreich unsere Ausrüstung angelegt und alles weitere verstaut haben, kann es losgehen. Die Sonne geht bereits auf. Der Schnee glitzert und knirscht unter unseren Füßen und wir sind von der Kulisse begeistert. Der Ausblick wird von Schritt zu Schritt atemberaubender.
Der Weg zur Adlersruhe
Man braucht definitiv ausreichend Energie und Kondition um den ersten Teil bis kurz vor der Adlersruhe zu meistern. Der Sauerstoffgehalt in der Luft nimmt mit der Höhe ab, was sich durch erhöhten Puls, Kurzatmigkeit und damit einhergehend reduzierte Leistungsfähigkeit bemerkbar macht. Wir nehmen Rücksicht aufeinander und versuchen das Tempo abzustimmen. Das ist insofern wichtig, da wir mit unserem Bergführer zu fünft in einer Seilschaft durch die Schneelandschaft voranschreiten. Bis kurz vor der Adlersruhe ist der Aufstieg ohne Klettereien und erfordert hauptsächlich eine gute Kondition.
Der letzte Abschnitt vorm Ziel
Nach dieser Etappe, beginnt es technisch anspruchsvoller zu werden wodurch der Bergführer die Seillänge zwischen uns reduziert bevor wir über einen Klettersteig zur höchsten Hütte Österreichs, der Erzherzog Johann Hütte weiter marschieren. Dort angekommen gönnen wir uns eine Pause im Schatten. Die Hütte wird leider erst nächste Woche geöffnet. Wir haben allerdings Glück mit dem Wetter und können uns im Windschatten der Hütte kurz ausruhen. An einem sonnigen Tag ist die Intensität der Sonneneinstrahlung in den Bergen ist so hoch, dass mehrmaliges Auftragen eines UV-Schutz für Gesicht und Lippen unerlässlich ist. Nach einer Stärkung, die in meinem Fall hauptsächlich aus Energieriegeln besteht, geht es weiter und wir nähern uns dem Anstieg, der es in sich hat. So beeindruckend es sich anhört, so wenig konnte ich mir darunter vorstellen, was es bedeutet eine 40 Grad steilen Anstieg hinaufzugehen. Nachdem wir diese Passage im Zickzack und unter Anwendung des Eispickels durch den Schnee gemeistert haben, sind wir am Glocknerleitl angekommen.
Das Ziel ist zum Greifen nahe
Die Aussicht kann man nicht mehr mit Worten beschreiben. So etwas habe ich vorher noch nie gesehen und alle Anstrengung hat sich bereits jetzt bezahlt gemacht. Nun gilt es über den Grat hinauf zu klettern. Uns kommen immer wieder Personen im Abstieg entgegen und an manchen Stellen frage ich mich, “wo um Himmels Willen wir jetzt hin sollen”, sodass wir aneinander vorbei kommen. Erstaunlicherweise finden wir jedoch immer wieder eine Möglichkeit um einander Platz zu machen und wir erklimmen über den Kleinglockner und die berüchtigte Schlüsselstelle (tut euch einen Gefallen und sucht danach nicht vorab im Internet) das Dach von Österreich. Unser Timing könnte nicht besser sein, denn wir haben den Gipfel für Sage und Schreibe 10 Minuten für uns alleine und können die Aussicht in Ruhe genießen. Ich hab keine Ahnung wie viele Kilometer in die Ferne man an diesem Tag wirklich sehen kann. Zugegebenermaßen ist es auch schwer sich vorzustellen, was 200 km Weitsicht an einem klaren Tag wirklich bedeutet. Allerdings klingt es ziemlich beeindruckend sich vorzustellen von Wien nach Linz sehen zu können.
Der Abstieg
Nach einem Fotoshooting am Gipfel - danke Stefan für deine Geduld und Hingabe nicht nur als Bergführer, sondern auch als Fotograf - ging es nun wieder ans Eingemachte. Ich persönlich finde das Absteigen immer einschüchternder als den Aufstieg. Da wir zu fünft in einer Seilschaft gehen, bleibt zwischen und nicht viel Platz. Deshalb stimmen wir jede Bewegung aufeinander ab und führen jeden Schritt annähernd synchron aus. Das verlangt einem nicht nur körperliche Höchstleistungen ab, sondern auch der Kopf muss voll bei der Sache sein. Wir müssen als Team arbeiten, klare Ansagen treffen und an einem Strang ziehen, um in der Seilschaft sicher nach unten zu gelangen. Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen und lassen uns zu keinem Zeitpunkt von anderen Auf- oder Absteigern stressen. Zurück bei der Erzherzog Johann Hütte haben wir zum ersten Mal wirklich Zeit um zu realisieren, dass wir gerade den höchsten Berg Österreichs bestiegen haben. Stolz, ein bisschen erschöpft und von der Sonne geküsst geht es dann ans letzte Stück zurück zur Hütte. Die steileren Stücke können wir sogar hinunter rutschen und man spart sich das Bergabgehen durch den Schnee, das zum Ende hin ganz besonders anstrengend ist.
Der Tag danach
Nach einer erholsamen Nacht (man schläft ganz besonders gut nach einer Tour auf den Großglockner, auch im Schlaflager) genießen wir unser Frühstück in vollen Zügen, da wir heute nicht ganz so früh aufbrechen müssen. Ein Blick aus dem Fenster offenbart einen Blick auf Stefans nächste Besteigung zum Gipfel mit einer anderen Gruppe. Zum vierten Mal in 4 Tagen. Das erscheint uns unvorstellbar. Nach unserem gemütlichen Frühstück packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg zum Parkplatz. Heute ist es ganz besonders anstrengend und ich bin heilfroh, als wir nach ca. 2 Stunden unten ankommen. Meine Füße haben Dank meiner sorgsamen Behandlung keine Blasen und ich freue mich die Bergschuhe gegen meine Sportschuhe einzutauschen. Ein wunderbares Erlebnis neigt sich dem Ende zu und ich bin dankbar, dass ich in bester Begleitung, unter besten Bedingungen und mit einem professionellen Bergführer diese Tour machen durfte.